Girlhood (2014)

„Was ist jetzt dein Leben?“

Was passiert
GirlhoodMarieme wächst auf in den Pariser Vorstädten, in denen Patriarchat, Gewalt und Hoffnungslosigkeit regieren, selbst in ihrer eigenen Familie. Um ihrem grauen Alltag zu entkommen, schließt sie sich einer Gruppe von Mädchen an, auf der Suche nach dem bisschen Freiheit, das in ihrer Reichweite liegt: Stehlen, feiern, sich prügeln und vergessen, was noch vor ihnen liegt. Doch Marieme, die sich jetzt Vic nennt – „en victoire“ – kann ihrem Block und ihrer Herkunft nicht wirklich entkommen, und selbst die Romanze mit dem schüchternen Ismaël, einem Freund ihres gewalttätigen Bruders, scheint perspektivlos.

Was Sache ist
Die Pariser Banlieues sind Sinnbild von Exklusion und struktureller Gewalt, die tief inmitten einer Gesellschaft existiert, die solche Phänomene schon seit langem überwunden zu haben meint. Im Film hat dieses Phänomen große Beachtung durch Mathieu Kassovitz‘ „La haine“ erfahren, der die Spirale der Gewalt in der Auseinandersetzung von Polizei und abgehängten Jugendlichen wirkmächtig, wenn auch stellenweise oberflächlich zum Thema gemacht hat. Was er ausklammert, sind diejenigen, die sich in diesen Konflikten immer in der Mitte wiederfinden. „Bande de filles“ regt den weiblichen Blick auf dieses System an, explizit den Blick junger afrofranzösischer Frauen, die ihr Leben in einer Umwelt verbringen, in der ein weibliches Leben weniger zählt. Über den eigenen Körper und die eigene Freiheit zu bestimmen ist eine Erfahrung, die massiv unterdrückt wird. Schule bietet keine Perspektive. (Aber warum nicht? Sciammas Film fehlt die Fokussierung auf Problemdimensionen, die etwa „Entre les murs“ so stark gemacht haben.) Der Ausweg, den Marieme/Vic (Karidja Touré) und ihre Freundinnen wählen, besteht in einem exzessiven Hedonismus, der letztlich kein Ausweg ist, weil er sich nicht eignet, Strukturen aufzubrechen oder auch nur in Frage zu stellen.

Die Gewalt regiert und reagiert, und der einzige Moment, in dem Marieme Anerkennung durch ihren Bruder erfährt, weil sie ein Mädchen aus einer anderen Nachbarschaft zusammengeschlagen hat, wirkt dann umso ernüchternder. Ihr einziger echter Akt der Rebellion, der Auflehnung gegen dieses Gesetz des Patriarchats besteht in ihrer Beziehung zu Ismaël, gegen den Willen ihres Bruders, und doch führt er in eine Sackgasse, nachdem beide in einer Schlüsselszene feststellen, dass die einzige logische Fortführung ist, sich wieder auf das System einzulassen, zu heiraten, Kinder zu kriegen – „Ich will dieses Leben nicht“, sagt Marieme mit einem herzzerreißend traurigen Lächeln, und es ist letztlich die Traurigkeit des Eingestehens, dass der cinematographisch hervorragende (hervorzuheben die Szene, in der die Mädchen zu Rihannas „Diamonds“ tanzen) „Bande de filles“ (läuft in Deutschland unter „Girlhood“, ab 26.02.), ob absichtlich oder nicht, ähnlich wie „La haine“ strukturelle Fragestellungen ausspart und damit die Oberflächlichkeit eines Lebens spiegelt, in dem ein echter Ausweg von Beginn an außer Reichweite lag.

Girlhood (Bande de filles, Fr 2014) | Regie/Skript: Céline Sciamma | mit Karidja Touré, Assa Sylla, Lindsay Karamoh, Mariétou Touré | 112 min.

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