Le tout nouveau testament (2015)

„Am Samstag wird Gott, der keine Papiere hat, nach Usbekistan abgeschoben.“

Was passiert
Das brandneue TestamentGott existiert. Und zwar im verregneten Brüssel, wo der grantige alte Misanthrop seine Zeit damit verbringt, abwechselnd die Menschheit und seine Familie zu schikanieren. Bis seine Tochter Éa eines Tages genug hat und die Schöpfung durcheinander wirbelt. Erst bekommt die komplette Menschheit individuelle Todesdaten per SMS zugeschickt. Dann macht sich Éa selbst – wie einst ihr großer Bruder – auf den Weg, um eine Handvoll Apostel einzusammeln (sechs; mit den ursprünglichen genug für ein Baseball-Team) und ein Brandneues Testament zu verfassen.

Was Sache ist
Jaco Van Dormael hegt wenig Interesse an gewöhnlichen Stories, das wissen wir mindestens seit seinem traumhaften Schicksalsmärchen „Mr. Nobody“. Mit „Le tout nouveau testament“ baut er noch einige Nummern größer: Nichts weniger als eine Neuerzählung der biblischen Schöpfungsgeschichte stimmt ein auf diese surreale Komödie, mit einem rundheraus fiesen Allmächtigen (Benoît Poelvoorde), der als schlechtgelaunter Pantoffelheld im Bademantel durch seine Dreizimmerwohnung stapft und zur Belustigung laufend Gesetze des Universums entwirft, um seine Kreaturen zu piesacken. Besonders plagt den Übervater, dass sein entfremdeter Sohnemann der Menschheit weißgemacht hat, hinter dem ganzen Drama stecke ein tieferer Sinn. Die kleine Éa (herzig: Pili Groyne) dagegen stand immer im Schatten des Bruderherzes und möchte ihrem Arsch von einem Vater eigentlich nur eins auswischen. Denn: Religion lebt von Ungewissheit, und wer genau weiß, was auf ihn zukommt, macht einiges anders – oder auch nicht.

Letztlich ist das der Kern des Films: Für scharfe Religionssatire möge man doch eher auf die Herren Python zurückkommen (obgleich „Le tout nouveau testament“ zweifellos seine Momente hat). Van Dormael ist mehr an den Menschen interessiert, die Éa in eine Existenzkrise mit ungewissem Ausgang schickt. Die Parallelen zum erwähnten „Mr. Nobody“ sind offensichtlich, wenngleich in erfrischend anderem Ton erzählt. Der phantastische Humor, in absurde Bilder verpackt, erinnert bisweilen eher an einen Jeunet. Doch „Le tout nouveau testament“ ist nicht, wie manche Kritiken ihn irritierenderweise ausmachen, Pointenfeuerwerk. Jeder Lacher, wie auch die ruhigeren Momente, steht im Dienst eines beinahe schon philosophischen Herantastens an größere Fragen, die zu beantworten, das stellt der Film klar, es weder Kirchen noch heilige Schriften braucht. Das Predigen liegt Van Dormael fremd, und deshalb weigert er sich, allzu patente Antworten auf die unausweichliche Frage nach dem Sinn des Ganzen zu geben. Wer den Countdown bis zum Ableben vor Augen hat, muss sich diese Antwort wohl selber suchen. Und wer das nicht hat? Natürlich ebenso. Das ist nicht wahnwitzig tiefgründig, es gelingen nicht die Höheflüge eines „Mr. Nobody“ (nicht konstant zumindest), aber es mag helfen, derartige Fragen ein kleines bisschen weniger ernst zu nehmen, und das ist bereits einiges wert. Zumal wenn man es mit einem Lächeln auf den Lippen tut, und dafür sorgt „Le tout nouveau testament“ konstant.

8/10

Le tout nouveau testament (Das brandneue Testament, BL/FR/LX 2015) | Regie: Jaco Van Dormael | Skript: Thomas Gunzig, Jaco Van Dormael | mit Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Catherine Deneuve, Yolande Moreau | 113 min.

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