Carol (2015)

„Ask me things … please …“

Was passiert
CarolIm konservativen Klima des New Yorks der 1950er Jahre lernen sich Therese und Carol kennen, zwei Frauen aus verschiedenen Welten. Die unglückliche Hobby-Fotografin Therese arbeitet als Verkäuferin und träumt von einem erfüllteren Leben, ist sich jedoch nicht sicher, ob sie es an der Seite Richards finden wird. Carol steht vor der Scheidung von Harge, der sich Carols vergangene Beziehungen mit Frauen zu Nutze macht, um das Sorgerecht für ihre gemeinsame Tochter zu erlangen. Aufgewühlt stürzt sich Carol in eine Romanze mit der jüngeren Therese und ermuntert diese, ihren Träumen zu folgen.

Was Sache ist
Romanze, zumindest ihre märchenhafte Filmvariante, lässt sich, grob gesprochen, auf zwei Varianten herunterbrechen: Attraktion und Faszination. Die erste ist im Film die weitaus häufigere, und der Grund dafür liegt auf der Hand: Es verlangt dem Publikum nicht viel Fantasie ab, sich vorzustellen, weshalb zwei blendend aussehende Filmstars sich zueinander hingezogen fühlen. Alles andere kommt dann später. Das viel gescholtene Genre der RomCom basiert fast ausschließlich auf diesem Typ. Attraktivität verbindet, das ist die (natürlich arg vereinfachte) Vorstellung dahinter. Symmetrie ist einfacher zu erzählen. Einseitige Attraktivität bedeutet daher auch fast immer: Comedy-Prämisse (siehe etwa „King of Queens“ oder ähnlichen Unfug). Die andere Variante, Faszination, ist mit filmischen Mitteln ungleich schwieriger zu erzählen, denn naturgemäß ist das Innenleben einer Person deutlich schwerer auf die Leinwand zu bringen als ihr Äußeres. Doch die Schwierigkeit geht noch darüber hinaus, denn Faszination geht zumeist mit Asymmetrie einher. Ein Verhältnis von Subjekt zu Objekt kommt hier ins Spiel. Das Differente, das Andere fasziniert uns. Fühlen sich zwei Personen auf diese Art zueinander hingezogen, so haben sie unterschiedliche Gründe dafür, die sich nicht auf ein so einfaches Gemeinsames wie physische Schönheit herunterbrechen lassen. (Wenngleich Schönheit natürlich ebenso ein Anlass für Faszination wie für Attraktion sein kann.)

Auf diese Weise verbindet Faszination und trennt zugleich, und entwickelt dadurch eine eigene Dynamik, die viel zu tun hat mit der Chemie der Charaktere und ihrer Darsteller*innen. Man lasse sie laufen, denn sie entwickelt einen eigenen Willen; und Faszination wird beinahe unweigerlich ihre Eigenarten ändern, sobald die in Frage kommenden Charaktere einander näher kennen lernen. Ein nahezu perfektes Beispiel dafür, mit einer solchen Romanze umzugehen, wäre Sophia Copolas „Lost in Translation“ (mit der Stadt Tokio als drittem Partner einer hoffnungslosen Dreiecksromanze?): Zwei Charaktere, die einander in mal größeren, mal engeren Spiralen umkreisen, sich zueinander hingezogen fühlen und doch nie richtig zu packen bekommen. (Ein Hinweis für einen goldrichtigen Umgang mit einer solchen Beziehung ist ein Drehbuch, das nonchalant das große L-Word vermeidet. Nein, Scott, ich meine nicht „Lesbian“.) Todd Haynes‘ „Carol“ beginnt zunächst bei Therese (Rooney Mara), die in einer wegweisenden Szene einem wütenden Richard gegenüber nicht einmal begründen kann, weshalb sie einer Einladung Carols (Cate Blanchett) zu einer gemeinsamen Reise Folge leistet. „Carol“ ist kein unnötig schwatzhafter Film; statt in Worten spüren wir Thereses Faszination durch das Objektiv ihrer Kamera. Carol als ihr erstes Fotomodell, als Objekt ihrer Faszination bleibt eine schattenhafte Gestalt, und der Film gibt diese spannende, durchaus selbstreferentielle Prämisse weitgehend auf, wenn er sich in der zweiten Hälfte eher dem Subjekt-Charakter Carol und ihrer Geschichte zuwendet.

Nichts von alledem ist angehalten, zu einer ewigen Märchenromanze verklärt zu werden, und so misslingt das Ende des Films. Die Dynamik der Romanze bleibt auf der Strecke. Das ist keineswegs Blanchett und Mara anzulasten. Während Maras so gefühlvolle Augen den ersten Teil der Geschichte notfalls auch alleine hätten erzählen können, gibt Blanchett einmal mehr, aber selten so gut, die letzte große Leinwandgöttin, deren Eleganz jedoch umso besser zur Geltung kommt, solange ihr Charakter unnahbar bleibt. Auch diesen Zauber gibt „Carol“ ein wenig aus der Hand. So behält dieser unwahrscheinlich schöne, von Haynes und Cinematographer Edward Lachman mit viel Gefühl inszenierte Film einen leicht unterkühlten Charme zurück. Er reißt nicht mit, bleibt auf Distanz, gerade indem er seinen Charakteren diese Distanz verweigert. Der sich thematisch aufdrängende Vergleich etwa zu einem „Brokeback Mountain“ lässt diesen Mangel deutlich zu Tage treten. Ein größerer Fokus auf Therese wäre zu wünschen gewesen. So aber hat die anfängliche Faszination für „Carol“ im Laufe des Films an Verve und Eindringlichkeit verloren, und das ist durchaus in Ordnung, lädt jedoch zu einem gewissen Bedauern ein.

6/10

Carol (UK/USA 2015) | Regie: Todd Haynes | Skript: Phyllis Nagy | mit Cate Blanchett, Rooney Mara, Kyle Chandler, Jake Lacy, Sarah Paulson | 118 min.

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