„My heart bleeds. But revenge is in the creator’s hands.“
Was passiert
Der noch unerschlossene Wilde Westen des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Hugh Glass kennt das Land; er hat lange bei den Einheimischen gelebt. Nun führt er eine Expedition von Pelzjägern durch die nordamerikanischen Wälder, kurz vor Wintereinbruch. Verfolgt von den Kriegern eines indigenen Stammes, wird Glass von einem Bären angefallen. Der Trapper John Fitzgerald, der Glass misstraut, ermordet erst dessen Sohn und lässt Glass dann zum Sterben zurück. Fiebernd und geschwächt, doch am Leben, macht sich Glass zu Fuß auf den Weg, um sich an Fitzgerald zu rächen.
Was Sache ist
Den Superlativ vorweg: Was immer man sonst von ihm halten mag, „The Revenant“ ist eines der schönsten Werke der Filmgeschichte. Es ist keine einfache Schönheit. Sie ist bitterkalt und brutal, ein vordergründiges Rachedrama eingefasst in die Ästhetik eines Kriegs-/Antikriegsfilms. In diesem Sinne drängt „The Revenant“ zwei Vergleiche auf. Der erste betrifft eine der ersten Szenen des Films: Wir befinden uns im Lager der Trapper, eben noch umgeben von der unheimlichen Ruhe des urwüchsigen nordamerikanischen Waldes, das plötzlich angegriffen wird; eine Szene, die Emmanuel Lubezki seinen dritten Kamera-Oscar in Folge einbringen dürfte, wenn die Perspektive von Charakter zu Charakter springt, von einer Seite zur anderen, Trapper und Native Americans, ein einziges grausames Sterben. Eine Intensität, die ungemein an die eigentliche Eröffnungsszene von Spielbergs „Saving Private Ryan“, die Landung in der Normandie erinnert. Noch ehe wir eine Figur in diesem Treiben näher kennen gelernt haben, merken wir, dass die Totalität von Leben und Tod das große Thema sein wird. Im Unterschied freilich zu „Saving Private Ryan“, der nach dieser furiosen Eröffnung zum mediokren Soldatendrama verkommt, nähert sich „The Revenant“ einem anderen Werk der Filmkunst an, einem anderen Antikriegsfilm, zufällig im selben Jahr wie „Ryan“ erschienen: Terrence Malicks „A Thin Red Line“ nämlich, der eine Einheit US-Marines während der Einnahme von Guadecanal im Pazifikkrieg begleitet und dabei sein Thema transzendiert, eigentlich nämlich eine große Geschichte über die Dualität von Mensch und Natur erzählt, einen Grundton, den genauso auch „The Revenant“ anschlägt.
Während dieser zunächst die einfache Geschichte des verratenen und zum Sterben zurückgelassenen Mannes (Leonardo DiCaprio) auf der Suche nach Rache erzählt, erschließen die gewaltigen Bilder, die unbedingt auf der großen Leinwand gesehen werden sollten – Schneestürme, brennende Bäume, reißende Flüsse -, aufgepeitscht durch den geradezu apokalyptischen Score von Bryce Dessner, Carsten Nicolai und Ryūichi Sakamoto, nach und nach die eigentlichen Motive des Films: Wie kann ein einzelner Mensch, wie kann die Menschheit gegen die Naturgewalten bestehen? Was bedeutet uns der Tod – unser eigener, der eines geliebten Menschen, der unseres ärgsten Feindes? Wofür lohnt es sich zu kämpfen, und wie weit sind wir bereit – und in der Lage -, zu gehen? Wo es in „The Thin Red Line“ das Paradies auf Erden ist, das die Natur des Menschen spiegelt, ist es hier sicher etwas anderes, vielleicht das Fegefeuer, das DiCaprios Charakter zu bewältigen hat, immer wieder geschüttelt und angetrieben von surrealen Fieberträumen, die sich in die Einsamkeit des verschneiten Nordamerika einflechten. Bedenkt man auch die noch offensichtlicheren Parallelen zu Malicks „The New World“, dürfte Iñárritus Inspiration zu „The Revenant“ recht ersichtlich werden. Möchte man es negativ fassen, so bliebe zu sagen, seinem neuen Werk fehlt die wilde Originalität von „Birdman, or (The Unexpected Virtue of Ignorance)“, seinem Meisterstück des letzten Jahres. Dessen eigensinnige Triebkraft jedoch übertrifft „The Revenant“ noch um ein Vielfaches. An der Meditativität des unerreichten „The Thin Red Line“ muss der Film sich durchaus nicht messen lassen. Er existiert für sich selbst, und in sich selbst: Ein Beweis für die eindrucksvollen Möglichkeiten des Kinos.
10/10
The Revenant (USA 2015) | Regie: Alejandro González Iñárritu | Skript: Iñárritu, Mark L. Smith | mit Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck | min.
Andere Meinungen: Frau Flinkwert, Going to the Movies, Miss Booleana
Die Bilder sind top, die ersten Minuten des Films sind ein Leinwandgewitter der besten Sorte. Aber danach hat der Film mich über die wunderschönen Aufnahmen hinaus nicht fesseln können. Für mich zeigt THE REVENANT keinen Kampf gegen die Natur, dazu fährt Iñarritu viel zu große Geschütze auf, die bei einem Budget dieser Höhe von Produktionsseite sicher gewünscht sind, letztlich aber das Ziel des Films verfehlen.
Was DiCaprio durchmacht ist zu Beginn noch eine leidenschaftliche Tortur. Doch der geschundene und dennoch unkaputtbare Körper des Protagonisten lässt mich als Zuschauer außen vor. Dass die dahinter stehende Rache-Geschichte für einen Film dieser Länge zu dürftig ausfällt, kommt in letzter Instanz zum Tragen. THE REVENANT hat mich nicht gelangweilt, aber erschreckend kalt gelassen. Dennoch besser als der Vorjahres-Hit BIRDMAN.
LikeLike
Diese Birdman-Hater immer. :p
Das Problem der zu großen Geschütze verstehe ich beim besten Willen nicht, und über die (Nicht-)Dürftigkeit der Rache-Story kann man sicher streiten, aber wie gesagt, das ist für mich nicht der Kern des Ganzen.
LikeLike
Na ja, ich sag mal Klippe.
Die Rachestory ist allerdings schon das, was DiCaprio hier am Leben halten soll, also schon irgendwie der Kern des Plots… Und wenn ich die Story in den Vordergrund rücke, ist das für mich tatsächlich noch überzeugender als der Kampf gegen die Widrigkeiten der Natur. Ach, inhaltlich funktioniert THE REVENANT für mich einfach gar nicht.
LikeLike
Na endlich mal wieder jemand, der den Film auch so sehr mochte. Die Bildgewalt, die Technik, die Kamera, auch die leichte Esoterik haben mich vollkommen eingenommen. Ob die Bilder von den Wäldern und Wasserströmen oder das immerwährende Hineinversetzen in Glass‘ Lage: mich hat der Film keine Sekunde gelangweilt. Wenn wieder jemand in einer Review schreibt, dass er sich gelangweilt hätte, dann möchte ich am liebsten fragen: Ja, wo guckst du denn hin?? In dem Sinne … volle Zustimmung.
LikeLike