„Don’t tell me what I can’t do!“
Was passiert
Die Leichen im Rumpf des Flugzeugs ziehen ungeladene Gäste an: Eine Horde Wildschweine sucht das Lager heim. Da die Vorräte der Überlebenden aufgebraucht sind, geht ein enthusiastischer Mr. Locke mit Kate und Michael auf die Jagd. Kate hat noch eine weitere Aufgabe: Sayid bittet sie, die Quelle des französischen Notrufs zu ermitteln, um dessen Energiequelle zu finden. Jack, dem seine Führungsrolle langsam zu viel wird, fasst in der Zwischenzeit den Entschluss, das Flugzeug mit den Leichen zu verbrennen, was auf wenig Begeisterung stößt. Claire organisiert eine Gedenkfeier.
Was Sache ist
„Walkabout“ beginnt, so scheint es, die eigentliche Handlung, nachdem alle Charaktere eingeführt sind und die Einäscherung des Flugzeugs gewissermaßen auch symbolisch den Beginn der Serie abschließt: Wir sind gekommen, um zu bleiben, und bis auf Weiteres geht es nicht mehr darum, auf Rettung zu warten, sondern vor allem, auf der Insel zu überleben. Die eigentliche Dynamik der Gruppe entwickelt sich, nachdem die Grundstrukturen der provisorischen sozialen Ordnung unter den Überlebenden bereits gezogen worden, erst mit Mr. Locke, der, noch namenlos, im ersten Teil des Piloten eine wunderbar abgefahrende Szene mit Kate hatte und uns im zweiten Teil zumindest namentlich kurz vorgestellt wurde, aber erst hier erfahren wir ein wenig über diese vielleicht rätselhafteste Figur unter den Überlebenden – wenngleich die Folge, Locke betreffend, natürlich mehr Fragen aufwirft, als sie löst. Sein wiederholt ausgesprochener Glaube an Schicksal bringt ihn bereits in einen gewissen Grundkontrast zu dem rational denkenden Jack, und in der Tat äußern Jack und Kate sich misstrauisch über ihren „neuen Freund“. Lockes Entscheidung, nach Michaels Verletzung das Wildschwein alleine zu jagen, anhand mit Kate zum Strand zurückzukehren, wird daran sicher nichts ändern, obgleich die Folge uns von Lockes Kompetenz überzeugt: „Don’t tell me what I can’t do“ ist der Satz, der ihn die Episode lang begleitet, und in der Tat bringt er am Ende das Wildschwein zur Strecke und löst damit bis auf Weiteres das Nahrungsproblem. (Solche Handlungselemente mögen banal erscheinen; für meinen Geschmack könnte die Serie den Organisationsschwierigkeiten der Überlebenden sogar noch mehr Aufmerksamkeit schenken.)
Jack dagegen hat seit dem Piloten das Lager nicht verlassen und scheint ein wenig in seiner Führerrolle festzustecken, sehr zu seinem Unwillen: Nicht nur, dass die Handlung von anderen vorangetrieben wird, Jack fühlt sich auch zunehmend unwohl darin, dass jedes Problem erst einmal zu ihm gebracht wird, in diesem Fall Claires Memorial Service und Rose, die sich von der Gruppe zurückzieht. Die Erscheinung, den Jack am Ende der Folge sieht oder zu sehen meint, deutet an, dass dieser Status Quo nicht lange so bleiben wird. Ist der Mann bloß eine Halluzination, gibt es andere Menschen auf der Insel, oder geht etwas völlig Anderes vor? Netter Cliffhanger. Der Rest der Episode wird hier und da ein wenig aufgefüllt mit Comic Relief; der Subplot um Charlie und Shannon ist wohl eher einer der überflüssigeren Sorte, nachdem uns Shannons Oberflächlichkeit schon zur Genüge dargelegt worden ist, und Charlie, ehe wir zur unweigerlichen Resolution seines bis hierhin recht solitären Drogensuchtplots kommen, ist nicht halb so unterhaltsam wie der grandiose, und bisher grandios vernachlässigte, Hurley. Sawyer dagegen bekommt seinen ersten netten Moment, als er Claire mürrisch bei den Vorbereitungen zu ihrer Gedenkveranstaltung hilft; sicher kein zufälliger Moment ausgerechnet in dieser Folge, unterstreicht er doch, dass Sawyer zwar eine etwas andere Vorstellung von erfolgreichem Zusammenleben haben mag als der Rest der Clique, in Bezug auf die eigentliche Handlung sich jedoch eher auf deren Seite wiederfinden wird, während derjenige mit der entgegengesetzten Einstellung bezüglich der Insel, in diesem Sinne der Antagonist der Handlung, Mr. Locke ist. Der immerhin scheint sich bereits recht zu Hause zu fühlen und mag guten Grund haben, sich nicht so arg nach einem möglichst baldigen Weg zu sehnen, die Insel zu verlassen, wie Sayid und Kate das in dieser Folge – auch das nicht zufällig – diskutieren.
Flashbacks
Wir sehen fünf Flashbacks für Mr. Locke, deren zweiter herrlich irreführend, weil er Locke als Militär- oder Geheimdienstoffizier einzuführen scheint, ehe er ihn als Bürohengst entlarvt. Zweimal, zu Beginn und zum Ende, sehen wir Locke am Strand aufwachen und aufstehen, und verstehen natürlich erst beim zweiten Mal die volle Bedeutung. Lockes Faszination für „Risiko“ mag ebenfalls darauf hindeuten, dass er gewisse langfristige Interessen hegt, die bisher noch nicht zum Tragen kommen. Diese Episode lebt, ganz nebenbei, einen gewissen Fußfetisch aus: Mehrmals bekommen wir Terry O’Quinn wortwörtlich aus der Bottom-Up-Perspektive zu sehen.
Das Zeitliche segnet:
Ein Wildschwein, nicht gezählt. (Count: 2)
Offene Fragen:
Weshalb kann Locke wieder laufen? Hat er das Monster gesehen, und wenn ja, wie konnte er überleben?
Wer ist der Mann im Anzug, den Jack am Strand sah?
Was ist aus dem anderen Ende des Flugzeugs geworden?
Wertung: 9/10